Grundrechte in Zeiten von Corona – Eine Frage der Verhältnismäßigkeit

3. April 2020 | Gesundheit und Sport, JUSOS

Nicht nur in der Politik, auch in der Gesellschaft, wird ausgiebig über die aktuell ergriffenen Maßnahmen debattiert. Ich möchte die Chance nutzen die bisherigen Debatten aus den Sozialen Netzwerken aufzugreifen, zu reflektieren und mit persönlichen Bemerkungen zu versehen.

In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitut YouGov gaben etwa 75% der Befragten an, dass sie die ergriffenen Maßnahmen aktuell unterstützen. Es gibt jedoch zwei kleinere Gruppen, die andere Ansichten vertreten. Auf der einen Seite haben wir Mitbürger, die sich für eine deutliche Verschärfung einsetzen und andererseits Mitbürger, die die aktuell ergriffenen Maßnahmen für unverhältnismäßig halten und nach der Rechtmäßigkeit fragen. Bereits vorher habe ich in den sozialen Netzwerken zunehmend den Eindruck gewonnen, dass einige Mitbürger ein großes Bedürfnis verspüren ihre letzten verblieben Grundrechte abgeben zu wollen. Sie setzen sich für strikte Ausgangssperren ein und verweisen dabei gerne auf Bundeskanzler Kurz in Österreich. Als Begründung für eine Ausgangssperre kommt von diesen meist nur ein dünnes „Schaut doch nach Italien“ oder ,,Der Kurz macht es doch auch“. Jeder Mitbürger, der die Kapazitäten des italienischen und des deutschen Gesundheitssystems vergleicht, wird feststellen, dass das Risiko von italienischen Verhältnissen in Deutschland nahezu gegen 0 geht. Dies hat der Chef-Virologe der Berliner Charité Christian Dorsten in seinem Podcast für den NDR immer wieder betont. So stehen in Deutschland etwa 5- bis 6-mal so viele Intensivbetten zur Verfügung und auch die Kapazitäten zur Schaffung neuer Intensivbetten sind in Deutschland um ein Vielfaches größer.Zudem greifen laut RKI auch die
Maßnahmen und es kommt zu einer Abschwächung des exponentiellen Wachstums. Neben der offensichtlich fehlenden medizinischen Notwendigkeit für eine Ausgangssperre sollte auch die Verfassungsmäßigkeit einer solchen Maßnahme diskutiert werden. Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans Jürgen Papier hat auf die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit von
Ausgangssperren in einem Interview mit dem Fokus mit einem klaren ,,Nein“ geantwortet. Keines der vorliegenden Gesetze ermöglicht eine so weitreichende und einschränkende Restriktion des Grundrechts. Einzig und allein das Infektionsschutzgesetz würde punktuell Zwangsquarantäne-Maßnahmen gestatten. An die Seite von Papier stellen sich andere Verfassungsrechtler wie Thorsten Kingreen und Andrea Edenharter. Sie gehen sogar noch weiter und stellen bereits die Verfassungsmäßigkeit der aktuell ergriffenen Maßnahmen in
Frage. Das Mittel mit dem aktuell das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und Gesundheit für eine kleine Gruppe geschützt wird, ist die erhebliche Einschränkung anderer Grundrechte für einen Großteil der Bundesbevölkerung. Dieses Ungleichgewicht ist verfassungsrechtlich mehr als bedenklich. Ministerpräsident Laschet hat daher zurecht darauf aufmerksam gemacht, dass bereits jetzt eine Exit-Debatte geführt werden muss, um Strategien zu entwickeln, die gleichermaßen effektiv sind, aber deutlich weniger in die
Grundrechte der Bevölkerung eingreifen.

Wichtigster Ansatzpunkt sei eine gezieltere Abschirmung der Risikogruppen, wie sie aktuell in Schweden praktiziert wird. Dies unterstreicht auch Charité Arzt Dr. Stefan Willich bei Maischberger diese Woche. ,,Die Zahlen, die aus Italien vorliegen, zeigen, dass wir die Risikogruppen eindeutig identifizieren können. So liegt in Italien das Durchschnittsalter der Verstorbenen weit über 80-Jahren und mehr als die Hälfte litt zusätzlich unter erheblichen Vorerkrankungen. Für einen sehr großen Teil der Gesellschaft sei das Virus vollkommen ungefährlich.’’ Neben Laschet und Willich warnen auch zunehmend führende Ökonomen, Psychologen und Soziologen davor, dass das Beibehalten aktueller Maßnahmen nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht, vor allem aber in sozialer Hinsicht, zu starke Unruhen führen kann, sollten die Maßnahmen länger aufrechterhalten werden. Diese interdisziplinäre Warnung aus allen beteiligten Wissenschaftsbereichen sollte uns zu denken geben.

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